Eine Frau gegen eine Welt der Binden

Eine Frau gegen eine Welt der Binden

Schon mal von Leona W. Chalmers gehört? Nein? Es ist auch nicht ganz leicht, etwas über sie herauszufinden. Was mitunter daran liegen dürfte, dass sie in den USA Mitte des letzten Jahrhunderts bekannt war. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass sie eine Frau war. Noch dazu eine Frau, die sich mit Frauen beschäftigte. Das sind zu viele Bekanntheits-Hemmnisse für eine Männerwelt.

Auf der Suche nach der Frau
Leona W. Chalmers, darüber sind sich die (wenigen) Quellen einig, war Schauspielerin und Sängerin, die ihre Profession aufgab und ein Patent für Menstruationstassen einreichte. Diese Frau erfand in den 1930ern ein Produkt und vereinfachte und verbesserte damit die Menstruationshygiene weltweit. Ich wollte mehr über sie wissen, also begab ich mich auf eine Reise. Ich streifte durch das endlose Internet und stieß auf Bizarres, wie einen Mittfünfziger, der das Menstruationsmuseum in seinem Keller (?!) betreibt, auf alte gruselige Zeichnungen, auf – und nein, ich war nicht überrascht – Handlungsanweisungen an Frauen und auf eine Person, die einen etwas streng, aber humorvoll mustert.


Foto: Über die Autorin Leona W. Chalmers/mum

Das erste Patent
Das Netz stellte mir diese Person als Leona Chalmers vor, die wahrscheinliche Erfinderin der modernen Menstruationstasse. Ihr erstes Patent wurde 1937 genehmigt und ist heute praktischerweise bei google zu finden. Die Sprache ist das Erste, was mir auffällt. Einige Sätze des Patents überraschten und amüsierten mich. Als kleines Beispiel, das Patent beginnt so: „Diese Erfindung (…) ein einfaches, günstiges und höchst effektives Instrument, gestaltet, um anschmiegsam zu passen (…).“ (im Original*) Ach so, das Nutzen einer Menstruationstasse entspricht quasi einem innerlichen Kuscheln. Klar.
So geht es weiter: „jede Flüssigkeit, die durch den Vulva-Gebärmutter-Kanal {sprich die Vagina} fließt, wird gefangen und so gelenkt, dass sie in den aufnahmefähigen Behälter“ (im Original**) gelangt. Das ist doch ein schönes Bild: Die Mens-Tasse funktioniert wie eine Mausefalle und fängt das Blut in sich.


Foto: Seite 1 des Patents von 1937. Heute ist es komplett zu finden, z. B. bei google.

Mit dem neuen Unternehmen beginnt die Zeit der Reklame
Mit dem ersten Patent hatte Chalmers noch keinen Erfolg, auch beeinflusst vom zweiten Weltkrieg. Das damalige Material der Wahl, vulkanisiertes Gummi, wurde im Krieg dringend gebraucht. Ihr Zugang wurde abgeschnitten, sodass sie ihre Firma bald wieder schließen musste. In den 1950er Jahren schloss sich Leona Chalmers mit einem Unternehmen zusammen und patentierte Menstruationstassen zum zweiten Mal. Das Unternehmen bestand allerdings auch nur bis zum Anfang der 1960er Jahre. Dieses Mal wählte sie den witzigen Namen „Tassette“. Tassette wurde mit Begriffen der Freiheit und Beweglichkeit beworben und auch damit, dass durch das „Einsperren“ des Mens-Blutes kein nerviger Geruch auftreten würde… so wissen wir endlich, dass der Markt schon früh nach mit Blümchen-Duft besprühten Hygieneprodukten gierte …

Folterinstrument oder Hygieneprodukt?


Foto: alte Menstruations-Cups/easycup

Es gibt Vorläufer-Produkte zum Menstruations-Cup (oder auch Menstruationstasse, Menstruationsbecher, Menstruationsglocke), auf die sich Leona Chalmers auch bezieht. Dank dem wunderbaren Internet – einer Wundertüte und einem riesigen Klo zugleich – finden sich noch Bilder dieser Instrumente. Ich teile sie gerne mit Euch und möchte aber darauf hinweisen, wie wahrhaft kuschelig die heutigen Varianten aussehen… Ruby Cups Produktseite wird zu einem wahren Genuss!


Foto: alte Menstruationstassen im Vergleich/afriska

Chalmers Frauen- und Menstruationsbild
In einer ausdrucksstarken Werbung mit dem Titel „Von einer Frau zur Anderen – Ich habe die Lösung für ein Problem, so alt wie Eva, gefunden.“ lässt sich Chalmers Motivation zur Produktentwicklung entdecken.

Foto: Werbung Tassette/follettochiaccierone
Sie beschreibt sich dort als eine aktive Frau, verstört von der natürlichen periodischen Funktion (im Original periodic function – wunderschön zweideutig, das werde ich mir merken). Sie grauste sich regelrecht vor dem Geruch und dem Gefühl der Unsauberkeit und sie hatte keine Lust mehr auf klobige Gerätschaften. Daher arbeitete und experimentierte sie mit Gynäkologen zusammen und brachte Tassette heraus. Die Reklame bewirbt Tassette für erwachsene Frauen, was wahrscheinlich so interpretiert werden soll: Nicht für Jungfrauen. Tassette beende „das Gefühl der Unsauberkeit, die Gefahr des Geruchs, die Entsorgungs-Sorge“ und ermögliche, endlich, sorgenfreie Anmutigkeit (im Original carefree daintiness). Endlich! Sorgenfrei anmutig! Was eine Aussage, was ein Frauenbild!

Auch ans Bücherschreiben wagte sich Leona Chalmers und brachte die beiden Werke „Woman’s personal Hygiene“ und „The INTIMATE SIDE of a Woman’s Life…“ heraus. Darin – ganz im Sinne des Mad-Man-Zeitalters – beschwört sie die notwendigen Verhaltensweisen einer Frau. Sie warnt unverheiratete Frauen, dass Petting zu vaginalem Ausfluss, zu Verstopfung und Menstruationsbeschwerden führe. Menstruationsbeschwerden sind nach Chalmer übrigens psychologisch und werden von Frau zu Frau weitergegeben. Ihrer Meinung nach sind Frauen, die sich nicht an die „natürlichen Gesetze der Gesundheit und Hygiene“ halten, schuld daran, wenn ihr Ehemann sie betrügt.

Oje. Sie war wohl eher eine reaktionäre Unternehmerin, als dass sie eine soziale Veränderung herbeiführen wollte. Die Begriffe der Freiheit, mit denen Tassette beworben wurde, galten anscheinend nur sehr eingeschränkt.

Mein feministisches Hirn wollte so gerne eine Geschichte über eine schillernde Erfinderin schreiben, doch obwohl Chalmers diese Hoffnung und das positive Bild nicht verkörpert, hat meine Recherche abstruse und amüsante Geschichten und Bilder hervorgebracht. Meine Netzsuche nach Chalmers ist vorerst beendet.

Anka arbeitet im Kommunikationsbereich bei Ruby Cup, ist Politikwissenschaftlerin und schreibt für den Ruby-Blog.


* „This invention relates to sanitary catamenial appliances, and has for its object the provision of a simple, inexpensive and highly efficient device designed to fit snugly within the vulvo-uterine canal, between the uterus and the vulva (…)“
** „whereby any fluid passing down the vulvo-uterine canal will be trapped and caused to flow into the receptable disposed below the dilating rim of the device (…)“

 

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